
Barcelona zwischen Vergangenheit und Zukunft
Kunst, Eleganz und Größenwahn
Die katalanische Hafenstadt am Mittelmeer gehört schon seit Jahrzehnten zu den touristischen Hotspots dieser Welt. 32 Millionen Besucher im Jahr bescheren der Metropole sprudelnde Einnahmen. In jüngster Zeit regt sich jedoch Widerstand gegen den Massentourismus. Viele Bewohner fühlen sich im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand gedrängt, können sich längst keine Mietwohnung mehr vor Ort leisten. Im neuen Tourismuskonzept versucht die Stadt unter dem Slogan „This is Barcelona“ den Massentourismus einzudämmen, den Qualitätstourismus zu entwickeln.

Qualitäten hat Barcelona genug. Keine andere Stadt kann sich rühmen, mit neun Gebäuden auf der Liste des Unesco-Welterbes vertreten zu sein. Allein sieben sind Zeugnisse des Überfliegers Antoni Gaudí (1853-1926). Von dem Architekten des Modernismus stammt auch die Sehenswürdigkeit der Stadt schlechthin, die katholische Basilika Sagrada Família. Dabei zweifelte der Direktor der Architektenschule von Barcelona 1878 bei Gaudis Abschluss dessen Befähigung noch an: „Wer weiß, ob wir das Diplom einem Verrückten oder einem Genie gegeben haben – nur die Zeit wird es uns sagen.“ Der 1882 begonnene Bau der Sagrada Família wird – vielleicht – 2033 abgeschlossen. Kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. weihte die Kirche im Jahr 2010 und erhob sie zur Basilika. Nicht minder aufregend ist die Casa Battló: Ein Textilfabrikant beauftragte Gaudí mit dem Umbau. Die üppige Fassade erzählt die Legende des katalanischen Drachentöters St. Jordi in vielfarbigen Keramiksplittern. Die Casa kann zu Ausstellungen und Konzerten besucht werden.
Es ist noch gar nicht so lange her, da schottete sich Barcelona mit seinem Hafen und weitläufigen Industrieanlagen nahezu vollends vom Mittelmeer ab. Im Zuge der Vorbereitung der Olympischen Spiele 1992 öffnete sich die Stadt mit einem breiten Stadtstrand zum Mittelmeer. Das größte Mittelmeeraquarium – „L’Aquàrium de Barcelona“ – entstand hier neben dem modernen Freizeit- und Einkaufszentrum „Maremagnum“ mit seinen Diskotheken, Kinos und Boutiquen. Auch der Olympische Hafen rührt aus dieser Zeit. Sehenswert ist an der Strandpromenade die 35 Meter hohe Skulptur „Goldener Fisch“ des kanadischen Architekten Frank Gehry. Gegen den strahlend-blauen Himmel scheint es, als würde das güldene Tier im Wasser schwimmen.
Die Statue Christoph Kolumbus‘ auf der Plaça Portal de la Pau weist mit ausgestrecktem Arm zum Mittelmeer. Von ihrem Südende führt die berühmte Flaniermeile der Rambla ins eigentliche Stadtzentrum. Gaukler, Musiker, Zeitungskioske oder Blumenhändler und jede Menge Bewohner wie auch Touristen sorgen für ein buntes Treiben. Zur Rechten erstreckt sich das Gotische Viertel. Entstanden auf den Resten des römischen Barcino, handelt es sich um den historischen Kern der Millionenstadt. Nördlich angrenzend, erreicht man auf der Plaça Nova die gewaltige Kathedrale. Über den Grundmauern einer westgotischen Basilika, die später eine romanische Kirche trugen, entstand im 13. bis 15. Jahrhundert der heutige gotische Sakralbau. Zur Südseite hin hütet die Sakristei einen üppigen Kirchenschatz.
Überhaupt bietet Barcelona eine Fülle von Sammlungen. Der neoklassizistische Palau National entstand als spanischer Palast für die Weltausstellung 1929. Das Nationale Kunstmuseum bietet Besuchern eine breite Palette von Kunstwerken katalanischer, spanischer und internationaler Künstler. Hervorzuheben ist die weltweit größte Sammlung romanischer Fresken, die aus den Apsiden von 29 Kirchen in den Pyrenäen stammen. Gleichfalls zur Weltausstellung von 1929 entstand das Poble Espanyol mit einem bunten Potpourri typischer Bauten der Regionen Spaniens. Erreicht wird das Dorf durch die Puerta de San Vicente. Dabei handelt es sich um den pittoresken Nachbau der Stadtmauer im kastilischen Ávila. In den Gassen wimmelt es nur so von Bars, Kunsthandwerkerläden und Restaurants, die immerhin von Touristen wie Bewohnern gleichermaßen frequentiert werden.
Abseits der Wege lohnt ein Besuch des Parks Güell im Stadtteil Gràcia. Der spanische Industrielle Güell zeigte sich fasziniert von den Ideen der englischen Gartenstadtbewegung. Zwar bremste der Erste Weltkrieg das Vorhaben weitgehend aus. Entstanden aber ist das Kernstück, eine reich verzierte Markthalle. Eine mächtige Freitreppe steigt zur Halle auf und wird von einer bunten Riesenechse bewacht, die nebenbei als Überlauf einer Zisterne dient. Die Handschrift deutet natürlich schnell auf Gaudí als Urheber. Nur ein einziges Wohngebäude der Gartenstadt wurde tatsächlich verwirklicht. Darin ehrt ein Museum einmal mehr den Baumeister Gaudí. Als Reaktion auf den Overtourism muss für die Besichtigung des 17 Hektar großen Parks Güell seit 2020 Eintritt gezahlt werden.
Auch die jüngere Gegenwart weiß das Stadtbild zu bereichern. So entstand 2011 im Rahmen eines spektakulären Umbaus der Stierkampfarena „Las Arenas“ an der Plaça Espanya ein Einkaufszentrum mit 115 Geschäften, Multifunktionshalle, Kino und Gastronomie. Der Stierkampf wurde von den Katalanen traditionell eher als Sport der kastilischen Unterdrücker betrachtet. Ein Jahr nach Francos Tod fand 1977 in der Arena die letzte Tierhatz statt. Nun wurde die historische Fassade im Neo-Mudejarstil gelungen restauriert. Über einen außenliegenden Panoramaaufzug erreicht man die Aussichtsplattform obenauf. Von den zahlreichen Bars und Restaurants bietet sich ein traumhafter Blick über die Stadt und den Montjuic als parkartiger Hausberg von Barcelona.
Der spanische König höchstselbst weihte an der Plaça de les Glòries Catalanes 2005 einen spektakulären Neubau ein. Die Torre Glòries, früher nach dem Erbauer – der Grupo Agbar – benannt, erinnert mit ihrer schillernden Fassade an eine gewaltige Wasserfontäne. Manche Bewohner mokieren sich allerdings über ihr phallisches Auftreten. Als Architekt fungierte der französische Stararchitekt Jean Nouvel. Er wurde 2006 für den Bau mit dem Internationalen Hochhauspreis geehrt. Nouvel betrachtet sein Hochhaus durchaus als Huldigung an Antoni Gaudí. Ihm war wichtig, dass seine Torre die Basilika Sagrada Família im Endzustand nicht überragen wird.
Wort: Uwe Schieferdecker / Bild: Torsten Reineck