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Dr. Winters Kolumne

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Neueste Gedanken zum Rinderwahnsinn


Liebe Freunde,
gerade wollte ich anfangen, euch die Geschichte einer Bärenmutter aus Kamtschatka zu erzählen, die einem Mann, nachdem er ihre Jungen vor dem Ertrinken gerettet hat, stundenlang die Hand geschüttelt hat, da schießt mir plötzlich eine Frage durch den Kopf. So etwas passiert mir ja laufend. Eben noch will ich über eine dankbare Bärenmutter berichten, da lässt mir eine bestimmte Frage keine Ruhe. "Welche Frage?", werdet ihr fragen, "Was denn für eine Frage?"
Also hört zu, ich will es euch sagen. Ich frage mich, ob es mir gelingen könnte, jemanden einzustellen, einen geringfügig Beschäftigten, der für mich fernsieht. Jemanden, der abends meinen Platz auf dem Sofa einnimmt und in die Glotze starrt. Damit ich das nicht machen muss. Um mir diese Mühe zu ersparen und den Ärger. Ja, richtig, den Ärger! Na, was denn sonst! Nichts ist so demoralisierend wie das Fernsehen. Sobald ich einschalte, will ich wieder ausschalten. Weil ich mich so aufrege. Weil ich mich an den Kopf greife, wenn ich nur daran denke, was ich in den nächsten Stunden ertragen muss. Die Quizsendungen-Schwemme, die Kriminalfilm-Inflation, die Geissens. Ich bin des Ganzen dermaßen überdrüssig, ihr macht euch kein Bild. Und das schon sehr lange. Sehr, sehr lange sogar.
Genauer gesagt, seit es keine Sendungen über Rinderwahnsinn mehr gibt. In den Zeiten der unentwegten Rinderwahnsinn-Berichterstattungen war das ganz anders. Die Sendungen über den Rinderwahnsinn haben mir nämlich immer extrem gut gefallen. Das waren noch Zeiten! Damals hat das Fernsehen seine großen Stunden gehabt. Da hat sich das Einschalten noch gelohnt. Das Thema Rinderwahnsinn ist meinen Vorstellungen von einem abwechslungsreichen Fernsehprogramm sehr nahegekommen. Weil sich mit dem Rinderwahnsinn vollkommen unterschiedliche Kühe infiziert haben. Da war ja keine wie die andere. Nur wahnsinnig sind sie alle gewesen. Das fand ich Klasse.
Mit dem Rinderwahnsinn ist den Verantwortlichen der ganz große Wurf gelungen, habe ich gedacht, dieses Format ist etwas für die ganze Familie, da ist für jeden was dabei. Hier wird der Focus auf einen Aspekt des Daseins gelenkt, der in den Medien bisher kategorisch vernachlässigt wurde. Bis zur ersten Ausstrahlung eines Filmes über den Rinderwahnsinn wurde es ja vermieden, den Rinderwahnsinn zu zeigen. An den Rinderwahnsinn wollte keiner ran. Doch mit der Ausstrahlung der Rinderwahnsinn-Berichte hatte eine neue Ära der Abendunterhaltung begonnen. Die Zeit für den Rinderwahnsinn war gekommen. Sämtliche Sendungen über den Rinderwahnsinn fand ich überaus sehenswert. Was da gezeigt wurde, entsprach meinen Erfahrungen im normalen Leben. Ja, habe ich so laut gerufen, dass die Nachbarn geglaubt haben, ich hätte Rinderwahnsinn, genauso verhält es sich, die Sendungen über Rinderwahnsinn widerspiegeln die Realität wie sonst nichts in der Medienlandschaft! Am Rinderwahnsinn entlarvt sich die Morbidität unserer Welt! Vom Rinderwahnsinn bin ich regelrecht begeistert gewesen. Da habe ich mir auch jede Wiederholung angesehen. Besonders die mit Happy End.
Aber selbst die laufen ja heute nicht mehr. Alles wird wiederholt: Die Schwarzwaldklinik, Reisen mit Sedlmayer, ein Kessel Buntes. Der Rinderwahnsinn nicht. Plötzlich ist er weg gewesen. Verschwunden. Eliminiert. Der Rinderwahnsinn wurde von heute auf morgen vollständig aus dem Programm verbannt. Und dabei ist es geblieben. Heutzutage wird ja alles gezeigt, nur kein Rinderwahnsinn. Jede Nebensache wird dem Rinderwahnsinn vorgezogen. Bloß keinen Rinderwahnsinn, heißt es, nie wieder Rinderwahnsinn! Dabei wäre gerade heute die Ausstrahlung einer Rinderwahnsinns-Gesamtschau dringender als je zuvor! Um eine neue gesamtgesellschaftliche Debatte über diese Geisel unserer modernen Gesellschaft zu entfachen.
Aber man macht es nicht. Man macht es nicht! Wenn ich beim Fernsehen etwas zu sagen hätte, würde ich ausschließlich Spielfilme über Rinderwahnsinn drehen lassen. Mit einer ganz hinreißenden Kuh als Hauptdarstellerin. Oder noch besser, Serien. An den schönsten Orten der Welt. Rinderwahnsinn auf den Seychellen, Rinderwahnsinn auf Schloss Neuschwanstein, und so weiter.
Finden sie das bedenklich? Ja?
Wahrscheinlich habe ich selber Rinderwahnsinn. Vom vielen Rinderwahnsinn-Ansehen habe ich Rinderwahnsinn bekommen, also den Wahnsinn, der sich darin äußert, dass ihnen immer die Beine weg knicken, wenn sie von der Weide kommen. Wobei ich jetzt nicht sie persönlich meine, sondern die Kühe. Zu Zeiten der Rinderwahnsinn-Reportagen haben Kühe mit weg knickenden Beinen die Bildschirme überflutet. Und das war gut so. Weil es visuell deutlich gemacht hat, was hier los ist.
Was danach kam, hat mit dieser Intensität nichts mehr zu tun gehabt. Das Niveau wurde nie wieder erreicht. Der Standard wird einfach nicht mehr geboten. Aber mir knicken die Beine auch weg. Wie immer, wenn es Zeit wird, fernzusehen. Weil natürlich wieder einmal keine Sendung über den Rinderwahnsinn gezeigt wird. Aus diesem Grund muss ich noch einmal zurück zu meiner Frage vom Anfang kommen. Wäre jemand von ihnen bereit, sich von mir als Fernsehzuschauer beschäftigen zu lassen?
Melden sie sich bitte. Sie müssen es doch nicht umsonst machen. Und etwas zu essen stelle ich ihnen auch hin. Irgendwas aus Rindfleisch. Vielleicht hätte ich doch lieber die Geschichte mit der Bärenmutter erzählen sollen.

Euer Doktor Creutzfeld Jakob Winter


Bild: Torsten Reineck